In die Zeit vor 100 Jahren führt die Ausstellung von Jürgen Parchem und Roland Fakler. "Das Dorf tritt damals aus dem Dunkel der Geschichte", sagt Fakler über den Beginn des 20.Jahrhunderts und meint das wörtlich. Aus dem Jahr 1906 stammen die ersten fotografischen Ortsansichten, Lichtbilder der Gebrüder Metz. Dann 1907 kommt "unsere elektrische Ortsleitung", wie es damals hieß. Mit Strom war es auch möglich, die Wasserversorgung umzustellen, einen Hochbehälter auf dem Kirchberg zu befüllen.
Zudem finden sich im Ortsarchiv für die Jahre 1905 bis 1915 alle Ausgaben des "Gäuboten". Diese Zeitung berichtete damals exklusiv aus Reusten, gehörte das Dorf doch bis 1938 zum Kreis Herrenberg. Etwa zwei Jahre lang blätterte sich Jürgen Parchem durch die Bände und verliebte sich dabei in die "geistreiche, urige Sprache". 40 Reusten-relevante Seiten hat er gefunden, acht davon hat er für die Ausstellung ausgewertet. Zur Eröffnung trägt Elfriede Heizmann Auszüge daraus vor.
Neben landwirtschaftlichen Nachrichten zum Beispiel über den immer weniger lohnenden Hopfenbau finden sich viele tragische Geschichten. Die etwa vom Fuhrknecht Johannes Sautter. Dem gingen die Pferde durch, als er eines morgens im Jahr 1912 auf den Übergang beim Breitenholzer Bahnhof zuhielt. Der "solide Mann, allseits beliebt" wird durch den herannahenden Zug so schwer verletzt, dass er auf dem Transport nach Tübingen stirbt. Bei der Konfrontation Pferdefuhrwerk gegen neu gebaute Ammertalbahn "stießen da zwei Welten aufeinander", meint Fakler.
Die Jahreszahl 1912 zeigt auch, dass sich die Ausstellungsmacher nicht eng an das Jahr 1906 hielten. "Wir wollten ein bisschen königlich-württembergisches Flair einfangen", sagt Parchem. Den Übergang zum Ersten Weltkrieg klammerten sie aus, "da brach die gemütliche Atmosphäre unter König Wilhelm ja schnell zusammen". Wobei sie Spuren des alltäglichen Militarismus leicht finden. So meldet die Zeitung auch eine Messerstecherei in einer der damals zahlreichen Reustener Gaststätten. Eine "Meinungsverschiedenheit zu den einzelnen Waffengattungen" sei da ausgeartet.
Dorfidylle zeigen private Fotografien. Das Bild von der in der Ammer spielenden Pfarrerstochter nebst Freundin oder Erinnerungen an den Schultes Christian Notter. Auch Ausstellungsstücke wie Lockenwickler, Bügeleisen und Butterfass sollen an die alte Zeit erinnern.
Stärkstes Stück der Ausstellung ist sicher eine von einer Entringerin gespendete originale Tracht aus der Zeit um 1900. Dinge wie diese gehörten für Parchem, der auch seinen persönlichen Fundus durchsucht hat, "eigentlich in ein Museum". Allerdings könnten sie da ja leicht steif wirken. Da ist es ihm schon lieber, "wenn wir es in der Wirtschaft zeigen können, wo die Leute ohnehin hinkommen".
INFO Die Ausstellung "Reusten um 1906" eröffnet am Samstag, 23. September, 19 Uhr, im Bergcafé auf dem Reustener Kirchberg. Die historischen Objekte und Zeitungsausschnitte bleiben bis ins Frühjahr hinein zu sehen. Öffnungszeiten: Montag bis Samstag: 13 bis 20 Uhr, Sonn- und Feiertage von 10 Uhr an.
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